Leistungskurs Sozialwissenschaften Q1 – Aufstehen und Position beziehen

In Anlehnung an den “Club der toten Dichter” wurden die Schüler:innen des Leistungskurses Sozialwissenschaften im Rahmen der Demokratieerziehung aufgefordert aufzustehen und sich für ihre Interessen und Positionen einzusetzen. Im Zuge dessen entstand unter anderem die hörens- und lesenswerte Rede von Leonie aus der Q1 zum Thema Feminismus:

 

Stellt euch vor, wir leben in einer Welt, in der jeder Mensch die gleichen Rechte, Chancen und Möglichkeiten hat, unabhängig von seinem Geschlecht. Wie würde das unsere Schule, unsere Gemeinschaft und unsere Gesellschaft verändern?

Heute möchte ich mit euch über ein Thema sprechen, das bei immer mehr Menschen zu genervten Gesichtsausdrücken führt – Feminismus, mit Blick auf Deutschland. Warum es aber immer noch wichtig ist, über dieses Thema zu sprechen, auch ganz unabhängig von unserem Geschlecht. Auch in einem Kurs, in dem wir 7 Mädchen und 17 Jungen sind, vielleicht gerade da. Denn jeder sollte seinen Horizont erweitern, auch wenn es einen oberflächlich gesehen vielleicht gar nicht direkt betrifft. Doch eigentlich betrifft Feminismus jeden, viele wissen das gar nicht. Der Feminismus ist nicht nur eine Bewegung von und für Frauen seit dem 18. Jahrhundert, sondern eine Bewegung für Gleichberechtigung aller Geschlechter. Es geht uns alle etwas an. Denn sprechen wir einmal über die Definition: Feminismus ist eine soziale und politische Bewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt. Sie strebt nach gleichen Rechten, Möglichkeiten und Chancen für Frauen und Männer und kämpft gegen Geschlechterdiskriminierung und Stereotypen. Feminismus bedeutet nicht die Dominanz von Frauen über Männer, sondern strebt nach Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen der Gesellschaft.

Ja, an die Lateiner und wahrscheinlich auch Nicht-Lateiner unter uns: Es ist richtig, dass der Begriff Feminismus aus dem Lateinischen stammt und sich vom Wort „femina“ ableitet, was „Frau“ bedeutet. Doch die Bewegung hat sich weiterentwickelt und schließt heute auch die Rechte und Interessen von Männern und anderen Geschlechtern mit ein.

Feminismus steht nichtsdestotrotz meist im Kontext zu Frauen, weil Frauen historisch gesehen in vielen Gesellschaften und Kulturen benachteiligt und diskriminiert wurden und teilweise eben immer noch werden. Dies möchte ich im Weiteren ausführen.

Hierzulande sind die meisten sich ganz klar einig: Frauen und Männer sollten gleiche Rechte und Chancen haben, Punkt. Doch spiegelt sich das in der Realität wider? Häufig zeigen wir mit dem Finger auf andere Kulturen, in denen Frauen noch viel weniger Rechte haben als in westlichen Staaten, doch ist das Problem in unserem Land wirklich schon komplett aufgearbeitet? Klares Nein.

Trotz der Fortschritte in Richtung Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland bestehen weiterhin Herausforderungen, die die Notwendigkeit des Feminismus unterstreichen.

Sprechen wir als Erstes über einen sehr bekannten und viel besprochenen Punkt – Lohnungleichheit. Es bleibt trotz der immer mal wieder größeren Medienpräsenz ein großes Problem, wobei Frauen in Deutschland durchschnittlich etwa 19% weniger verdienen als Männer. Man kann sagen, es ist ein Indikator für geschlechtsspezifische Diskriminierung und strukturelle Ungleichheit am Arbeitsmarkt.

Auch Geschlechterstereotype sind in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet und beeinflussen das Verhalten, die Erwartungen und die Chancen von Frauen und Männern. Diese Stereotypen führen zu geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in der Berufswahl, den Erziehungsverantwortungen und den sozialen Rollen.

Gewalt gegen Frauen ist ein ernsthaftes und weit verbreitetes Problem auch hier in Deutschland, wobei etwa 25% der Frauen ab dem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt durch Partner oder Ex-Partner erleben. Das ist jede vierte Frau. Zwei von drei Frauen erleben mal sexuelle Belästigung. Laut kriminalistischer Auswertung des Bundeskriminalamtes zu partnerschaftlicher Gewalt waren 2022 31.469 Männer und 126.349 Frauen offiziell von partnerschaftlicher Gewalt betroffen. 9,1% mehr als im Jahr zuvor.

Frauen sind in Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen in Deutschland stark unterrepräsentiert. Laut dem Frauenanteilsbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung liegt der Frauenanteil in Vorständen großer Unternehmen bei nur etwa 12% und in Aufsichtsräten bei etwa 35%. Diese Ungleichheiten in den Führungspositionen zeigen die Notwendigkeit, Barrieren und Hindernisse für Frauen in der Karriereentwicklung bestmöglich zu beseitigen.

In Deutschland bleiben reproduktive Rechte ein aktuelles Thema, das die Bedeutung des Feminismus hervorhebt. Der Begriff “reproduktive Gesundheit und Rechte” beschreibt das uneingeschränkte körperliche und ein seelisches Wohlbefinden in Bezug auf alle Bereiche der Sexualität und Fortpflanzung des Menschen. Trotz grundsätzlichem Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten gibt es Einschränkungen, insbesondere bei Schwangerschaftsabbrüchen. Soziale und wirtschaftliche Faktoren können den Zugang zu Verhütung und geburtshilflicher Versorgung beeinflussen. Der Feminismus setzt sich dafür ein, diese Barrieren zu überwinden und den vollen Zugang zu reproduktiven Rechten für alle Frauen sicherzustellen.

Insgesamt zeigen diese Daten und Fakten, dass trotz einiger Fortschritte in der Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland der Feminismus weiterhin wichtig ist, um bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen zu bekämpfen und eine gerechtere und umfassendere Gesellschaft für alle Geschlechter zu schaffen.

Getreu nach dem Motto unserer Schule „Gemeinsam erreicht man mehr“ möchte ich nun zum Ende kommen. Wie bei den meisten Themen sollten wir auch hier zusammenhalten, gegenseitig helfen, aufeinander achten und uns selbst immer wieder reflektieren, um jeden zu respektieren.