Gespräch von Wind und Meer – Gemm Talent Anna schreibt

Die Berliner Philharmoniker haben bereits im letzten Jahr zu einem
Schreibwettbewerb aufgerufen.
Im Rahmen der Gemm Talente nahm Anna Nahrwold daran teil.
Sie verfasste einen Text zum 3. Satz des wohl berühmten Werkes LaMer von Claude
Debussy.

Nehmt euch die Zeit diesen Text zu lesen.

Der Regen war ein guter Geschichtenerzähler. Viel besser als die Wellen oder gar
der Wind. Der Wind lies sich viel zu leicht ablenken. Und die Wellen hatten zu viel zu
tun. Eigentlich waren die Wellen wundervolle Erzähler, doch sie waren immer auf
Reisen. Immer auf dem Weg zu neuen Geschichten. Die Wellen erzählten ihre
Geschichten nie zu Ende. Dabei waren sie wundervoll. Unvorhersehbar. Der Wind
war ziemlich dominant. Er schrie, drückte und quetschte seine Geschichten in
einen hinein, egal ob man sie hören wollte, oder nicht. Aber manchmal, wenn er
ruhiger war, erzählte er ganz sanft von der Schönheit seiner Welt. Dann hauchte er,
flüsterte.
Das Schöne am Regen war, dass er ruhig und gelassen war. Er vermochte es am
allerbesten, einem den Kopf voll Bilder und Farben zu malen. Am Schönsten jedoch
war es, wenn sie gemeinsam erzählten. Wenn die Ruhe des Regens, sich mit der
Rastlosigkeit der Wellen und mit der Impulsivität des Windes vereinte. Zusammen
konnten sie eine Geschichte weben. Von einer Haltbarkeit, wie kein Mensch es
vermochte. Wenn die Geschichte fest genug war, fiel sie, wie ein Tuch, über einen
Ort, der sie benötigte. Gemeinsam gewebte Geschichten hatten Kriege beendet,
Dürren verscheucht und Lebewesen vor der Kälte bewahrt. Doch sie hatten sich
zerstritten. Der Wind weigerte sich mit den Wellen zu sprechen und die Wellen zogen
ihn nicht mehr in ihre Welt. Die Wellen wandten ihm ihre Rücken zu und zogen ihres
Weges. Das machte den Wind wütend und er tobte und brachte Zerstörung. Der
Regen versuchte zwischen ihnen zu vermitteln, doch es brachte nichts. Das machte
den Regen traurig und er begann mehr Geschichten zu erzählen, als je zuvor. Doch
alleine konnte er nicht weben, er konnte erzählen. Er konnte malen. Aber egal wie
sehr er sich mühte. Er konnte den Wind und die Wellen nicht ersetzen. Eines Tages
sah der Regen, wie ein Wal aus den Wellen auftauchte und den Inhalt seiner Lungen

in die Luft pustete. Nach einer kleinen Weile, landete ein Vogel auf ihm. Die beiden
schienen einander vertraut zu sein. Der Regen war traurig, weil er wusste, was bei
anderen Freundschaften zwischen Wind– und Meereswesen passiert war. In diesem
Fall schien jedoch nichts zu passieren. Im Gegenteil. Der Wal versuchte die Wellen
zu beschwichtigen, während der Vogel das Gleiche beim Wind tat. Der Wind
erschien. Jedoch nicht mehr zornig. Der Wal sprach weiter mit den Wellen. Sie
wurden größer, bauten sich bedrohlich vor dem Vogel auf. Der Wind erhob seine
Stimme. Das erste Mal seit langer, langer Zeit sprach er zu den Wellen. „Lass uns
reden. Lass uns vergessen. Lass uns Frieden schließen. Die Welt braucht uns.“ Die
Wellen türmten sich auf, fielen zusammen, schienen nicht recht zu wissen, was sie
machen sollten. Schließlich sagten sie: „In Ordnung. Lass uns UNSERE Geschichte
erzählen.“ Und die drei begannen zu weben. Die Geschichte schien nicht enden zu
wollen. Aber in den Jahren in denen der Wind und die Wellen nicht miteinander
geredet hatten, war viel passiert und es brauchte eine große, dichte Geschichte, um
die Zerstörung zu heilen und das Leid zu beenden.